Open-Source-Hardware hat das Potential, die Technologie zu demokratisieren – aber ohne gemeinsame Standards riskieren wir, Zeit, Mühe und Energie zu vergeuden. In diesem Artikel erklären wir, wie offene Standards fragmentierte Innovation in kollektiven Fortschritt wandeln können.
Neben unserem allgemeinen Interesse an der Förderung Freier Technologie (frei im Sinne von Meinungsäußerung, nicht von Bier) haben wir auch einen konkreteren Anlass, diesen Artikel jetzt zu schreiben:
In den letzten 9 Monaten haben wir im Rahmen einer NGI-Search Förderung an Software-Tools für den Open Know-How Standard und allgemeinere Metadaten-Standards gearbeitet. Einzelheiten zu den Ergebnissen dieses Projekts finden sich auf der Website des Projekts.
Wir haben bereits einen Artikel geschrieben, der dieses Projekt vorstellt, und möchten nun auf die Gründe für die Fokus auf Standards eingehen. In einem späteren Artikel werden wir zeigen, warum wir LinkedData als technologische Grundlage für diese Standards gewählt haben.
Intro
Wir träumen von Folgendem:
Technologie von Menschen, für Menschen, in großem Maßstab!
Die Arbeit an diesem allgemeinen Thema fühlt sich ermutigend und sinnvoll an, aber wie kann der oben genannte Traum Wirklichkeit werden?
Im Bereich der Software sind wir bereits in gewissem Maße erfolgreich: Es gibt ganze Ökosysteme von Open-Source-Software, auf deren Grundlage wichtige Teile unserer Infrastruktur laufen.
Bei Hardware und Produkten ist die Situation komplizierter, aber auch interessanter, weil Wissen aus vielen verschiedenen Disziplinen vorausgesetzt wird. Zum Beispiel sind dabei oft Fähigkeiten aus diesen Gebieten von Nöten: Maschinenbau, Elektronik, Handwerk und Design, nebst vielen anderen. Dies bietet jedoch auch eine einzigartige Chance, denn während bei Software überwiegend nur Software-Ingenieur:innen und Benutzeroberflächendesigner:innen teilnehmen können, ist bei Hardware und Produkten erst mal nur das Interesse gefragt, einen positiven Unterschied in der Welt bewirken zu wollen.
Wir wollen, dass eine Wirtschaft floriert, welche auf Waren basiert die aus Open-Source-Designs hergestellt werden, und die alle mit ihren individuellen Fähigkeiten einbezieht, die bereit sind, seinen Beitrag zu leisten.
Glücklicherweise gibt es bereits viele Open-Source-Hardware-Designs, und auch in ansehnlicher Anzahl. Wir werden in diesem Blogbeitrag jedoch argumentieren, dass ein entscheidender, grundlegender Teil fehlt, damit das Ökosystem von Hardware und Produkten, die auf offenen Designs basieren, gedeihen kann:
Standards
Woher wir kommen
Ungefähr zu Beginn des Jahrhunderts liefen die wichtigsten Patente für den 3D-Druck aus, was eine Revolution von Selbstbausätzen auslöste, die von Hunderttausenden von Menschen weltweit gekauft und gebaut wurden. Die Qualität dieser Drucker lies insgesamt eher zu wünschen übrig, so dass nach dem Zusammenbau und den ersten Tests praktisch alle ihren Drucker reparieren und optimieren mussten. Das bedeutete im Grunde, dass hunderttausende Menschen parallel dieselbe Arbeit verrichteten. Während viele Hersteller in gewissem Maße von anderen kopierten, und viele sagen würden, dass sie dabei viel gelernt haben, würden wir argumentieren, dass dies aus Sicht der Community und sogar der Gesellschaft im Allgemeinen völlig ineffizient war.
Wir sind eine Gruppe von Menschen, die der Meinung sind, dass es wichtig ist, gesellschaftliche Entwicklungen wie diese zu unterstützen, damit sie reibungsloser, effizienter und mit qualitativ besseren Ergebnissen in kürzerer Zeit ablaufen können. Unserer Meinung nach kann der Spaß am Ausprobieren, Scheitern und Lernen viel gezielter und effizienter sein, wenn die Beteiligten eine Möglichkeit haben, ihre Ergebnisse auszutauschen und über die Fortschritte der anderen Bescheid zu wissen. Wir postulieren, dass wir mit Hilfe von Standards auf diesem Gebiet die Gemeinschaft von Teilnehmenden dazu ermächtigen, ein gemeinsames Ziel effizienter erreichen zu können.
Open Source Hardware = die Technologie der Menschen
Open Source ist ein Begriff, der in der Welt der Softwareentwicklung bekannt ist. Die breite Öffentlichkeit wird es indirekt als Software wie Linux, Ubuntu, Firefox und LibreOffice kennen. Die einfachste Art, sich das vorzustellen, ist, dass es sich um Software für die Menschen, für die Nutzer handelt. Sie ist ein öffentliches Gut.
Es gibt ausdrückliche, rechtliche Zusicherungen, sie der Öffentlichkeit in vollem Umfang zur Verfügung zu stellen, sei es zur Nutzung, zur Veränderung oder zur Einsichtnahme in ihre Funktionsweise im Detail.
Open Source wird oft mit einem Basar verglichen, auf dem Menschen umherstreifen, lernen, helfen, nachfragen, vorschlagen, diskutieren und sich einigen. Dies führt dazu, dass die Handlungsfähigkeit – oder sagen wir, die Intelligenz – aller Beteiligten auf nahezu optimale Weise kombiniert wird.
Dieser interessante Prozess führt eine Gemeinschaft in zwei Richtungen:
Auf der offensichtlichen Seite führt er langsam aber sicher zu immer besserer Software. Als „Nebeneffekt“ lehrt er aber auch Selbstwertgefühl, fördert soziale Fähigkeiten – einschließlich gesunder Führungsqualitäten – und bildet eine Gemeinschaft.
Außerdem wird (größtenteils) verhindert, dass Werke aus der Vergangenheit für die Menschheit verloren gehen, und in einem ähnlichen Gedankengang wird verhindert, dass mehrere Menschen dieselbe Arbeit parallel erledigen müssen, ganz im Gegensatz zu einer firmeninternen, proprietären Entwicklung.
Inspiriert durch den Erfolg von Open-Source-Software, möchten wir eine ähnliche Kultur für Open-Source-Designs für Hardware-Produkte schaffen. Wir sind der festen Überzeugung, dass ein solcher Austausch von Ideen, Erkenntnissen und Designs nur mit allgemein akzeptierten Standards möglich ist.
Warum Standards?
Um den Wert einer Erfindung für die Gesellschaft wirklich voll zur Geltung zu bringen, muss sie den Menschen verständlich vermittelt werden. Standards spielen dabei eine wesentliche Rolle.
Schauen wir uns einmal genauer an, was der Wechsel von einer „wilden“ zu einer standards-basierten Arbeitsweise für die Projektbetreuer und die Benutzer bedeutet.
Um technische Projekte oder Open-Source-Entwürfe miteinander vergleichen zu können, und schlussendlich ein bestimmtes Projekt auszuwählen, auf welchem das eigene Projekt aufbaut, muss eine Vielzahl von Details berücksichtigt werden, um die Fähigkeiten jedes technischen Projekts zu bewerten. Um dieses Ziel zu erreichen, benötigt jeder potenzielle Nutzer:innen eines Projekts all diese Details in einer leicht vergleichbaren Form.
Solche Informationen umfassen Eigenschaften wie:
- Welche Software benötige ich, um die technischen Zeichnungen zu bearbeiten?
- → Verfüge ich über die erforderlichen Kenntnisse, um diese Software zu bedienen?
- → Muss ich sie kaufen?
- Welche Materialien benötige ich für den Bau?
- → Habe ich diese bereits?
- → Wie viel kosten sie?
- → Welche Auswirkungen hat ihre Beschaffung auf die Umwelt?
- Welche physischen Maschinen/Werkzeuge benötige ich, um es zu bauen?
- Wie vollständig ist die Dokumentation?
- → Sind alle erforderlichen Dateien verfügbar?
- Wie gut ist das Design getestet?
Der Unterschied zwischen dem „wilden“-Stil und dem standards-basierten Stil ist der folgende:
- „wild“ aka Unstandardisiert – Die Projektentwickler:innen machen was sie wollen und wie sie wollen. Jede:r Benutzer:in, der nach einem OSH-Produkt sucht, muss versuchen, obige Informationen für jedes in Frage kommende technische Projekt aus der Fülle der online verfügbaren Informationen über dieses Projekt zusammenzustellen. Oft sind einige dieser Informationen nicht verfügbar. Benutzer:innen müssen selbst einen Weg finden, diese Daten zu speichern und zu vergleichen. Das passiert oft mit Hilfe eines Tabellenkalkulationsprogramms. Möglicherweise muss jede:r diesen Vorgang relativ oft wiederholen, da sich die Projekte im Laufe der Zeit ändern und das selbe passiert auch mit den Anforderungen der Benutzer:innen. Dieser Prozess wird wahrscheinlich Stunden oder sogar Tage in Anspruch nehmen und sie mit dem Gefühl zurücklassen, dass sie wahrscheinlich einige potenzielle Projekte übersehen haben. Es kann auch zu Problemen der Informationsasymmetrie führen, wenn neuere Versionen desselben Designs verfügbar sind, der/die Benutzer:in aber die zuvor gesammelten, lokalen Informationen verwendet.
- Standardisiert – Projektentwickler:innen – wenn sie sich für die Konformität entscheiden – haben hier ein wenig mehr Arbeit zu leisten. Sie müssen sich über die Standards informieren und ihre Projektinformationen entsprechend zusammenstellen. Außerdem sollten sie die Daten an einem gut sichtbaren, vom Standard vorgegebenen Ort speichern und sich an bewährte Praktiken auf dem Gebiet halten. Möglicherweise müssen sie ihr Projekt einmal bei einem Index registrieren. All dies als Gegenleistung dafür, dass sie aufgrund der besseren Zugänglichkeit der Informationen möglicherweise mehr Aufmerksamkeit und Reichweite erlangen.
Potenzielle Nutzer:innen hingegen haben es in diesem Szenario viel leichter. Sie können eine Suchmaschine aufrufen und innerhalb von Sekunden bis Minuten das für sie optimale Projekt finden.
Wer nun das erste Szenario liest … erinnert das an etwas? Klingt das nicht wie das Szenario für den 3D-Druck, das wir zu Beginn des Artikels betrachtet haben? Wenn ja, dann könnte mensch sich jetzt vielleicht vorstellen, wie das selbe Szenario mit Standards ausgesehen hätte. Während wir uns das vor Augen halten, möchte ich ein vereinfachtes Szenario mit Zahlen vorstellen, welche repräsentativ sein könnten:
- Anzahl der OSH-3D-Drucker-Projekte: 10
- Anzahl der Personen, die einen 3D-Drucker bauen wollen: 10’000
- Wir gehen davon aus, dass ein:e Projektentwickler:in fünfmal so viel Zeit für die Zusammenstellung der Projektinformationen benötigt wie ein:e Benutzer:in (Da jede:r sich zuerst mit den Standards vertraut machen und alle Informationen aufnehmen und auf dem neuesten Stand halten muss).
Ein:e Benutzer:in benötigt 10 Minuten pro Projekt, ein:e Projektbetreuer:in also 50 Minuten.
- Im „wilden“-Stil beträgt der Gesamtbetrag, den die Gesellschaft für alle Benutzer:innen aufwenden muss, um ihr 3D-Druckerprojekt auszuwählen:
10min * 10 (Projekte) * 10'000 (Personen) = 1'000'000 Minuten
- Auf die standardisierte Weise:
50min * 10 (Projekte) = 500 Minuten
Dies verbessert nicht nur die Effizienz und die Freiheit, sondern ermöglicht auch das Einbeziehen eines viel breiteren Publikums; abstrakt gesehen besteht der Hauptnutzen der Normung in diesem Fall darin, dass sie das Entstehen eines Marktes überhaupt erst ermöglicht.
Standards schaffen die Grundlage für die Interkonnektivität.
Craig N. Murphy
Man kann keine innovative Arbeit leisten, wenn man keine Standards hat, auf denen man aufbauen kann.
JoAnne Yates & Craig N. Murphy
Schlussfolgerung
Wir hoffen, wir konnten überzeugend vermitteln, dass die Einführung von Standards für Open-Source-Designs ein lohnenswertes Ziel ist.
Wir haben diesen Blogbeitrag mit unserem Traum-Szenario „Technologie von Menschen für Menschen; in großem Maßstab“ begonnen und anhand des Beispiels des 3D-Drucks erläutert, wie dies in der Vergangenheit funktioniert hat. Anschließend haben wir einen kurzen Blick auf die Rolle von Open Source für unseren Traum geworfen und uns näher damit befasst, warum Standards der eigentliche Dealbreaker sind, der noch immer weitgehend übersehen wird, und wie sie die Demokratisierung des Wissens weiter vorantreiben können.
Wir hoffen, Euch hat diese kleine Reise mit uns gefallen, und … bleiben wir in Kontakt!