Vor ein paar Tagen hab ich einen Freund besucht, der im Ökodorf Siebenlinden lebt und gerade Vater geworden ist. Meinem Eindruck nach eine perfekte Kombination … es muss sehr schön sein für ein Kind, in Sieben Linden aufzuwachsen, der ganze Ort strahlt eine ruhige und gesunde Kraft aus sowie eine große Nähe zur Natur.
Sieben Linden ist ein sehr erfolgreiches Ökodorf-Projekt das schon weit über 15 Jahre existiert und weiterhin wächst. Im Moment gibt es dort rund 140 Einwohner, die durch ihre Lebensweise in Bezug auf Nahrungs- und Energie-Versorgung (wenn auch nicht vollständig, so aber doch) zu einem sehr hohen Prozentsatz autark sind, mit zunehmender Tendenz.
Es gibt dort sogar einen eigenen Waldkindergarten, der mich an meine Zivildienst-Zeit in einem alternativen Kinderladen erinnerte 😉 Der Waldkindergarten wird übrigens auch von Kindern von ausserhalb besucht. Auch für Jugendliche gibt es dort einen eigenen Bereich mit einem Haus mit einem charmanten überdachten Aussen-Wohnzimmer. Nicht weit davon ist ein Bereich für FÖJler mit mehreren gut ausgebauten Wohn-Bauwägen.
Letztere sind in Sieben Linden eine beliebte Standard-Wohnform, die recht gut für Einzelpersonen geeignet ist, es gibt aber auch große Lehmwohnhäuser die für eine ganze Hausgemeinschaft ausgelegt sind.
Beide werden von den Bewohnern selbst bzw. vom dorfeigenen Handwerks-Betrieb gebaut und unter ökologischen Gesichtspunkten hoch optimiert.
Durch die langjährigen Erfahrungen (pro Jahr wird ca. ein neues Haus dazu gebaut) haben es die Sieben-Lindener zu einer sehr hohen Expertise im Bau von Strohballen-Lehm-Häusern gebracht; immerhin wurde hier das erste dreistöckige Strohballen-Lehmhaus in Deutschland gebaut, dass eine offizielle Zulassung von den Baubehörden erhielt.
Manche der Häuser sind komplett mit Materialien aus der näheren Umgebung (also Lehm und Holz aus dem eigenen Wald) gebaut worden. Sieben Linden ist am Waldrand gelegen, hat also zur einen Seite hin Wald und zur anderen Felder, mit eigenen Äckern und Gärten.
Seit einiger Zeit geht der Trend wohl dahin, die Lehmhäuser aussen mit einer Holzfassade zu versehen um die Wetterfestigkeit zu erhöhen, was den Häusern ausserdem noch eine moderne Optik verleiht, die dem, was man auch in manchen aktuellen Architekur-Magazinen häufig zu sehen bekommt, in nichts nachsteht aber eben zusätzlich noch mit erstklassigen Werten in bezug auf Energie und Nachhaltigkeit aufwarten kann.
Es gibt aber auch noch viele ältere Häuser ohne Holzverkleidung, d.h. nur mit Lehm als Aussenputz (auf Stroh), was, obwohl Lehm feuchteempfindlich ist, bemerkenswerterweise tatsächlich machbar ist, vorausgesetzt man versteht sich auf konstruktiven Nässeschutz (z.B. weit überstehende Dachkanten). Was die Sieben-Lindener offensichtlich meisterhaft beherrschen.
Auch Photovoltaik und Solarthermie werden standardmässig eingesetzt und z.Teil auch selbst entwickelt, neben großen Anlagen auf den Häusern sah ich auch einige kleinere Kollektoren.
Eine weitere Technik, die in Siebenlinden sehr hochentwickelt ist und noch fortlaufend weiter verbessert wird, ist die Beseitigung, oder genauer gesagt die Verwertung von Fäkalien. Allein durch den konsequenten Einsatz von Kompost-Klos, was gleichbedeutend ist mit Trocken-Klos, wird eine gigantische Wassereinsparung erzielt was wiederum gleichzeitig die Klärung der verbleibenden Klärwassermenge stark vereinfacht. Die festen Bestandteile hingegen werden in einem erprobten Verfahren kompostiert und gelangen letztlich wieder als Dünger in die Natur. Eine Sache, die sehr charakteristisch ist: In Siebenlinden hat man die Stoffwechselkreisläufen stets mit im Blick und bemüht sich, diese auch konsequent zu Ende zu denken.
Mancher Zeitgenosse mag aufgrund oberflächlicher Betrachtung beim Thema “Kompostklo” vielleicht die Nase rümpfen. Man sollte sich aber klar machen, dass die Beseitigung von Abfällen und Exkrementen einer großen Gruppe von Menschen zunächst mal ein nicht ganz triviales organisatorisches (und technisches) Problem darstellt und oft als wichtige Grundlage von Siedlungen wie Dörfern oder Städten angesehen wird. So wird z.B. immer wieder gerne die besondere kulturelle Leistung der Römer betont, mit langen Wasserleitungen und Kanalisationen die technische Grundlage für “die ewige Stadt” Rom erschaffen zu haben und damit auch irgendwie zu definieren, ab wann ein Volk als “zivilisiert” gelten kann. Nunja, das gab ihnen dann wohl auch das Recht, diesen riesigen Beton-Moloch (ja, die alten Römer haben den Beton erfunden) sowie das dranhängende Imperium auf Sklaverei und der Ausbeutung anderer Völker zu gründen, die halt als “Barbaren” mit eben jener Zivilisation beglückt wurden. In Sieben Linden hingegen erreicht man diesen Zivilisationsgrad eher durch Köpfchen und dafür auf friedliche Weise 😉
Äusserst bemerkenswert ist auch das Wirtschaftssystem, weil es sehr auf Schaffung lokaler Wirtschaftskreisläufe ausgerichtet ist. Ein sehr großer Teil der Bewohner findet nämlich im Dorf auch Arbeit, sei es als selbstständiger Unternehmer (z.B. im Handwerk und Gartenbau) dem schon allein der Bedarf der Dorfbewohner ein bescheidenenes Auskommen sichert und der eher selten noch Kapazitäten für Aufträge von ausserhalb übrig hat, oder etwa als Angestellter der dorfeigenen Genossenschaft. Eine weitere wichtige Einkunftsquelle ist der Seminarbetrieb, weshalb ein routinierter Umgang mit Besuchern, Gästen und Seminarteilnehmern gang und gäbe ist. Darin liegt auch ein Potential, neue Leute kennenzulernen und neue, zukünftige Dorfbewohner zu gewinnen, zumindest, solange die angepeilte Zielgröße von etwa 300 noch nicht erreicht ist. Daraus resultiert ein gemächliches aber kontinuierliches und quasi organisches Wachstum der Gemeinschaft.
Und Gemeinschaft wird hier natürlich großgeschrieben, immerhin besteht ein gewisser Teil der besonderen Effizienz des Dorfes darin, das sich die Bewohner bestimmte zentrale Einrichtungen, wie z.B. die Gemeinschaftsküche, Lager- und Vorratshaltung (z.B. für Nahrungsmittel und Brennholz), eine Waschküche, das Seminarhaus und vieles mehr (achja, nicht zu vergessen das Car-Sharing) miteinander teilen.
Und vermutlich auch einen gewissen Teil der Weltanschaungen, wobei es aber m.E. so ist, das ebensoviel Wert auch auf indivudelle Freiräume gelegt wird, was sich z.B. in den Hausgemeinschaften niederschlägt.
Sieben Linden ist konzeptionell so ausgelegt (oder hat sich einfach im Laufe der Zeit dahin entwickelt) das es einen großen Rahmen bildet, innerhalb dessen es einen öffentlichen Raum gibt, also etwa die gemeinschaftlichen Einrichtungen, mit bestimmten Regeln die ein konstruktives Miteinander ermöglichen. Und dann gibt es noch die vielen individuellen Räume, die etwa durch die Wohnhäuser und ihre Hausgemeinschaften repräsentiert sind und wo letztere ihre eigenen Regeln und Lebensmodelle etablieren können. Hier ist natürlich eine höhere Kompatibilität der einzelnen Personen erforderlich bzw. lassen sich auch Rollen-Modelle wie “Familie” oder einfach nur “Haushalt” gut abbilden.
Die Gemeinschaft als ganzes erscheint mir trotz mancher weltanschaulicher Gemeinsamkeiten insgesamt aber durchaus heterogen, d.h., es handelt sich hier m.E. nicht etwa um eine auf einen gemeinsamen religiösen oder esoterischen Fokus ausgerichtete und gleichgeschaltete Gruppe (zumindest sofern man “Nachhaltigkeit” nicht als Religion sondern als Strategie definiert). Damit will ich aber nicht ausschliessen, das die Naturnähe und die ganze Atmosphäre des Projektes bzw. des Dorfes einer spirituellen Entwicklung und Reflexion förderlich sind, die eigentlich auch ganz gut zum Seminarbetrieb passen. Wenn etwa der Inhalt eines Workshops mit dem, was man selbst glaubt und lebt gut zusammenpasst, dann wird er dementsprechend authentisch sein.
Ich als oberflächlicher Besucher fühlte mich damit aber nicht weiter in besonderem Maße konfrontiert, nur einmal hörte ich entfernte Didgeridoo-Klänge die wohl aus dem Seminarhaus kamen. Aber ansonsten erschien mir die Situation einfach nur von einer ganz alltäglichen Normalität geprägt zu sein. Die Menschen denen ich begegnete sind trotz der in mancher Hinsicht aussergewöhnlichen Umstände einfach ganz normale Leute, nur dass sie sich halt stärker als andere Zeitgenossen darum bemühen ein Modell für ein nachhaltiges und angenehmes Zusammenleben aktiv zu entwickeln, bei dem die eigene Umgebung besonders kreativ und konstruktiv gestaltet wird. Viele haben dort wirtschaftlich gesehen zwar ihr Auskommen, sind aber nach den üblichen Maßstäben nicht besonders reich. Sie fühlen sich aber dabei keineswegs arm, da sie in vielerlei Hinsicht einen besonderen Luxus geniessen können (und sich dessen auch bewusst sind), den die meisten anderen in der Gesellschaft nicht haben. Das kann man wohl als win-win-Situation einstufen 😉
Die ganze Atmosphäre erinnerte mich ein bischen an einen ruhigen Urlaub auf der dänischen Halbinsel Römö, das mag aber auch daran gelegen haben, das es ein Sonntag war und man kennt ja diese typische entspannte Sonntag-Nachmittag-Stimmung 😉 Gleichzeitig gab es für mich aber auch sehr vielschichtige Eindrücke mitzunehmen und zu analysieren … sehr viele Sachen bei denen ich zweimal und genauer hinschauen musste um dann viele interessante Details zu entdecken, die aber im Umgebungskontext widerum völlig normal erschienen, wie bereits erwähnt.
Im Hinblick auf OSEG und insbesondere die OpenEcoLabs und zukünftige Community-Projekte kann ich als Fazit ganz klar und eindeutig feststellen, das man von Sieben-Linden extrem viel lernen kann.
Viele Ideen, Ansätze und Ideale, denen man im OSEG-Umfeld immer wieder begegnet, sind hier bereits in die Tat umgesetzt und weiterentwickelt worden und werden im Alltag praktisch gelebt. Dabei haben die Sieben-Lindener sicherlich auch manchen Prozess durchlaufen und manches Lehrgeld zahlen müssen, aber die Sache scheint inzwischen schon sehr routiniert zu laufen und gut zu funktionieren – was schliesslich das Wichtigste ist.